Decodiert! Digitaler Zugang zu historischen Quellen für junge Menschen
SchülerInnen gehen auf digitale Spurensuche in der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses und erwerben Schlüsselkompetenzen durch Alltagsgeschichte.
In der aktuellen Projektphase von „museum4punkt0“ möchte das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven mithilfe einer digitalen Medienstation bei jungen BesucherInnen die Lust an der Auseinandersetzung mit alltagsgeschichtlichen Quellen wecken und deren Bedeutung für das Verständnis gesellschaftlicher Entwicklungen anschaulich begreifbar machen.
Kulturhistorische Museen wie das Deutsche Auswandererhaus verfügen häufig über einen großen Fundus an biographischen Quellen in Form von Ego-Dokumenten, wie Briefen und Tagebüchern. Gerade persönliche historische Schriftstücke bieten unersetzbare Einblicke in die Alltagsgeschichte, sind jedoch, besonders für junge Menschen, häufig sowohl „physisch“ als auch inhaltlich schwer zugänglich.
„Lebt wohl“ trifft auf Digital Natives – Analogien und Relevanz schaffen
Die Postkarte, als Beispiel für eine historische Quelle, entsteht vor 150 Jahren in Oldenburg und dient der schnellen und günstigen Kommunikation mit Familie und FreundInnen. Sie trägt immer zwei Nachrichten, eine kurze handschriftliche und eine Motivnachricht. Für HistorikerInnen eine Quelle, die nicht nur biographische Details verrät, sondern auch Einblicke in das Alltagsleben der SchreiberInnen und natürlich auch der EmpfängerInnen bietet, und oft verschiedene Entwicklungen aufzeigt, wie beispielsweise politische oder auch strukturelle Veränderungen. Der typische Gruß auf einer Postkarte, „Lebt wohl“, ist eine kleine Botschaft, die doch so viele Informationen in sich tragen kann.
Der Zugang zu Quellen ist für GeschichtseinsteigerInnen nicht unbedingt leicht. Oft erfordern sie historisches Hintergrundwissen, Fremdsprachenkenntnisse und Kenntnisse alter Schriftarten wie Sütterlin, die heute viele junge Menschen gar nicht mehr lesen können. Und auch klingt eine Nachricht wie „Lebt wohl“, besonders für junge Ohren, doch eher altmodisch.
Durch den Einsatz einer Medienstation möchte das Deutsche Auswandererhaus einen Bezug zur Lebenswelt junger Menschen herstellen und das in einer Welt, in der sie sich am allerbesten auskennen – und zwar in der digitalen. Die kurze, günstige Nachricht, die schnell Informationen übermittelt und Bilder von Neuerlebtem oder auch Portraits zeigt, könnte heutzutage nicht aktueller sein. Nur sind es heutzutage Social Media-Kanäle, Messenger-Dienste wie WhatsApp oder das Selfie, welche von Neuigkeiten berichten. Analogien aus dem Alltagsleben der Kinder und Jugendlichen und der historischen Aus- und EinwandererInnen aufzuzeigen und somit einen Bezug zur Lebenswelt junger Menschen zu schaffen, stellt Relevanz und Begeisterung her.
Bildung für eine nachhaltige Entwicklung – Empathie und Selbstvertrauen schaffen
Die Medienstation zum Decodieren von Quellen aus der Sammlung des Deutschen Auswandererhauses soll der in bundesweiten Lehrplänen vorgesehenen Quellenarbeit von SchülerInnen entsprechen. Die Medienstation soll Kinder und Jugendliche nicht nur in ihren methodischen Kompetenzen wie dem Recherchieren, Sichten und Prüfen, sondern auch dem Kennen und Interpretieren unterschiedlicher historischer Quellen fördern. Des Weiteren können SchülerInnen durch ein kontextuelles Lernen im Museum und erlernte Kenntnisse aus den Quellen über das Alltagsleben ihre Fachkompetenzen ausbauen.
Durch den Einsatz eines digitalen Formates sollen sie außerdem in ihren Selbstkompetenzen gestärkt werden. Oftmals kann die Quellenarbeit bei jungen Menschen zu Frustration führen, da sie nur schwierig Zugang finden und somit das Interesse und Verständnis schnell verloren geht. Der Einsatz digitaler Medien in der Quellenarbeit soll Jugendlichen und Kindern zeigen, dass, wenn verbunden mit der digitalen Welt, sie durchaus Zugang zu und auch Freude an der Arbeit mit historischen Quellen haben können. Dies wiederum führt zu mehr Empathie, kritischem Denken, Respekt und Toleranz – und nicht zuletzt mehr Selbstvertrauen.
Digital gestützte Wissensvermittlung am Deutschen Auswandererhaus – Zugang und Erlebnis schaffen
Eingebettet wird die Medienstation in das bereits bestehende digitale Angebot des Deutschen Auswandererhauses. Seit der Eröffnung 2005 setzt das Bremerhavener Migrationsmuseum digitale Mittel in der Vermittlungs- und Bildungsarbeit ein. Bei ihrem Durchgang durch die Dauerausstellung begleiten die BesucherInnen eine/n Ein- bzw. AuswandererIn und erfahren an diversen Medienstationen Näheres zu deren/dessen Biographie sowie zu historischen Hintergründen. Für Schulklassen gibt es zusätzlich Rallyes, die den Rundgang begleiten.
Die Stationen werden von den BesucherInnen selbstständig durch die auf RIFD-Technologie basierenden Eintrittskarten ausgelöst und verschaffen diesen ein unkompliziertes und Entdeckungslust förderndes Museumserlebnis. Im Jahr 2017 erweiterte sich durch das „Studio Migration“ das digitale Vermittlungsangebot. Hier ist es den SchülerInnen möglich, durch Touchscreens an diversen Umfragen zum Thema Migration teilzunehmen und in einem Selbsttest festzustellen, ob sie eher MigrationskritikerInnen oder -befürworterInnen sind. Das Aufnahmestudio wird für Oral History-Interviews und für Podcast-Workshops von SchülerInnen genutzt.
Als Verbundpartner im Projekt museum4punkt0 kamen weitere digitale Entwicklungen für die Vermittlungsarbeit hinzu, wie die entstandene Sammlungsdatenbank und das „Biographien-Portal“. Die Bildungsarbeit setzt digitale Tools bewusst ein – nicht nur, um verschiedene Lerntypen anzusprechen und Medienkompetenzen zu stärken, sondern auch, um Inhalte so divers wie möglich zu gestalten.
Ein Beitrag von: Astrid Bormann
Mehr erfahren
- Blog-Beitrag: „Digitale Lernorte: Wie kommt das Museum ins Kinderzimmer?“ (9. Februar 2021)
- Blog-Beitrag: „Mehr als die Summe seiner Teile: Portal zu Lebensgeschichten von MigrantInnen“ (2. Oktober 2022)
- Deutsches Auswandererhaus: Biographien-Portal
- Deutsches Auswandererhaus: Lernen als Erlebnis
- Deutsches Auswandererhaus: Studio Migration