24. November 2020
Assoziierter Partner, Verbundarbeit, Wissenstransfer

Expotheken, sprechende Objekte und Künstliche Intelligenz

Johannes C. Bernhardt über die digitale Neuausrichtung des Badischen Landesmuseums und die Partnerschaft mit museum4punkt0

Expothek
Archäologie in Baden – Expothek; Foto: ARTIS – Uli Deck, CC BY 4.0

Ihr Museum / Ihre Stiftung ist assoziierter Partner von museum4punkt0. Was versprechen Sie sich von der Zusammenarbeit?

Den Ausgangspunkt für die Assoziierung des Badischen Landesmuseums mit museum4punkt0 bildete das konkrete Interesse an der App „Mein Objekt“, die aus einer Kooperation des Humboldt-Forums mit dem gamelab.berlin hervorgegangen ist. Im Hintergrund stand dabei, dass das Badische Landesmuseum im Projekt Creative Collections schon seit einiger Zeit den Ansatz verfolgt, Digitalität und Partizipation zusammenzudenken und die NutzerInnen des Museums aktiv in die Entwicklung neuer digitaler Konzepte mit einzubeziehen. Daher sind mit interessierten BürgerInnen gemeinsame Design-Thinking-Workshops durchgeführt und neue Partizipationsformate wie MuseumCamps und Hackathons etabliert worden. Im Kontext dieser Veranstaltungen spielte immer wieder die Frage eine Rolle, wie man Objekte mit digitalen Mitteln zum Sprechen bringen und einen emotionalen Zugang zu ihnen schaffen kann.

Die App „Mein Objekt“ setzt genau an diesen Überlegungen an. Mit der bekannten Tinder-Mechanik bietet sie NutzerInnen die Möglichkeit, zu ihren Interessen passende Objekte zu finden, mit diesen einen Chat zu beginnen und sich schließlich mit ihnen im Museum zu verabreden. Es war dann letztlich nur noch ein „connecting the dots“, die Prozesse im Landesmuseum mit den laufenden Entwicklungen im Verbund museum4punkt0 zusammenzudenken und eine Kooperation zur gemeinsamen Weiterentwicklung von „Mein Objekt“ anzustoßen.

Jenseits dieses konkreten Ansatzpunktes ist museum4punkt0 natürlich auch für jede Art von Vernetzung und Austausch hochattraktiv. In den Projekten des Verbundes sind zu einer Vielzahl von Problemstellungen und Nutzungsbedarfen passgenaue Lösungen entwickelt und wertvolle Expertisen aufgebaut worden. Richtungsweisend ist vor allem die konsequente Dokumentation und Publikation aller Ergebnisse unter Open-Source-Lizenzen, was endlich ein Ausbrechen aus der regelhaften Neuerfindung des Rades sowie das Spielen, Kombinieren und Aufbauen auf bereits vorhandenen Lösungen ermöglicht. Die Mechaniken einer App wie „Mein Objekt“ kann man  beispielsweise in Richtung eines interaktiven Netzwerks weiterspinnen und über ein regelrechtes Facebook für Objekte nachdenken. Daher kann man nur hoffen, dass es in Zukunft national und international mehr frei zugängliche Open-Source-Plattformen geben wird.

Welche digitalen Angebote können BesucherInnen Ihres Museums / Ihrer Häuser bereits nutzen?

Das Badische Landesmuseum verfolgt bereits seit einigen Jahren die Umsetzung eines neuen Museumskonzepts, in dessen Zentrum die konsequente Neudefinition der BesucherInnen als aktive NutzerInnen des Museums steht. Herzstück dieses Konzepts ist das neu entwickelte Format der Expothek, das NutzerInnen ähnlich wie in Bibliotheken und Lesesälen direkten Zugang zu allen Objekten in den Ausstellungen ermöglicht und bis zur physischen Vorlage von einzelnen Stücken reicht. Integriert in das Museumskonzept ist eine umfassende digitale Strategie: Einerseits wird die digitale Erschließung der Sammlungsbestände im Digitalen Katalog stetig vorangetrieben, um die Objekte für die NutzerInnen auffindbar und zugänglich zu machen; andererseits ist neben der traditionellen Eintrittskarte ein Nutzerausweis eingeführt worden, der nach Registrierung als Jahreskarte gilt, die Bestellung von Objekten in den Expotheken ermöglicht und bisherige Interaktionen mit dem Museum im eigenen Nutzerkonto speichert.

Die Sammlungsausstellung „Archäologie in Baden“ ist 2019 als erster Prototyp des neuen Museumskonzepts eröffnet worden und bietet eine Vielzahl an digitalen Angeboten. Zum einen können die NutzerInnen mit sogenannten ExpoPhones Objekte direkt an den Vitrinen erforschen und an Medientischen vertiefend studieren oder spielerisch erschließen. Zum anderen befindet sich in der Expothek ein 3D-Scanner, mit dem die NutzerInnen vorgelegte Objekte auch selbst scannen und dann sowohl in ihrem Nutzerkonto als auch im Digitalen Katalog hinterlegen können. Schließlich bietet das ExpoLab mehrere Objektensembles wie die Grabbeigaben eines Kriegers, die mittels Virtual Reality in ihrem historischen Kontext erlebt werden können. Setzen die NutzerInnen eine der VR-Brillen auf, löst sich der reale Raum auf, die Objektensembles werden in ihren ursprünglichen Kontext zurückversetzt und man taucht in eine längere Geschichte ein – etwa die Ereignisse, die zum Tod des Kriegers führten.

Auf diesem Prozess aufbauend hat das bereits angesprochene Projekt Creative Collections auf die Einbindung der NutzerInnen in die weitere Neuausrichtung des Museums gezielt. Aus den partizipativen Veranstaltungen ist eine Vielzahl an innovativen Digitalformaten und Ansatzpunkten hervorgegangen, von denen momentan mehrere in der Umsetzung sind. Zum einen konnte bereits 2019 ein Pepper-Roboter angeschafft werden, der schrittweise um eine Quiz-App und ein an die Stimmungslage der NutzerInnen anpassbares Führungsformat erweitert worden ist. Die bereits verfügbare App „Dein Geschenk“ ermöglicht den BesucherInnen, ihr Museumserlebnis zu teilen, eigene Touren zu entwerfen und als persönliches Geschenk zu verschicken. Die aus dem Verbund hervorgegangene App „Mein Objekt“ bildet dazu ein Komplement, da sie einen inhaltlich-emotionalen Zugang zu den Sammlungen bietet. Schließlich befindet sich in der Weiterführung eines der Hackathon-Projekte eine auf das Museum zugeschnittene App für Schatzsuchen und Escape-Games in Entwicklung.

Archäologie in Baden – Expothek

Wie würde Ihre persönliche Visitor Journey rundum Ihr Museum und darin aussehen?

Im Idealfall sollten Visitor Journeys bereits vor dem Museumsbesuch ansetzen und über diesen hinausweisen. Da von „Mein Objekt“ bereits die Rede war, drei mögliche Varianten.
Erstens: Ich habe bereits einen Nutzerausweis des Landesmuseums und interessiere mich für die Kelten, bestelle daher zu Hause im digitalen Katalog ein 2500 Jahre altes Schwert, gehe zum Termin in die Expothek, lasse mir das Objekt vom anwesenden Explainer vorlegen, darf es sogar in die Hand nehmen, tausche mich angeregt darüber aus und verlasse mit einer Kaskade an Folgefragen das Museum.
Zweitens: Als Fan des Pepper-Roboters Xaver höre ich in den sozialen Medien vom neuen Format einer Emotionsführung, gehe zu einem der Termine, der Roboter scannt meinen Gemütszustand, gibt mir eine Führung zu passenden Objekten und wirft mir und anderen BesucherInnen anregende Rückfragen zu, die mich auch nach dem Besuch noch beschäftigen.
Drittens: Unerwartet erhalte ich auf Whatsapp ein Geschenk meiner besten Freundin, drei Objekte des Museums hat sie für mich ausgewählt, die alle mit meiner Lieblingsfarbe Orange zu tun haben und mit Anekdoten aus unserer Schulzeit verknüpft sind – ich muss also bald zum Nachvollzug der Tour ins Museum und werde als guter Freund natürlich auch ein persönliches Gegengeschenk zusammenstellen.

Pepper-Roboter Xaver
Pepper-Roboter Xaver im Museum x, Foto: ARTIS – Uli Deck, CC BY 4.0

Welche Erfahrungen und Erkenntnisse hinsichtlich des Nutzungsinteresses digitaler Museumsangebote nehmen Sie mit aus der Zeit notwendiger Einschränkungen des regulären Betriebs?

Während der Corona-Pandemie hat sich in zugespitzter Form gezeigt, dass eines der zentralen Probleme der digitalen Transformation von Museen nach wie vor Geschwindigkeit ist. Vor allem in der Anfangsphase dominierten der Rückgriff auf Video- und Podcastformate, das Angebot von Online-Führungen oder Verweise auf digital verfügbare Sammlungen. Handelte es sich dabei eher um die Fortsetzung des „normalen“ Betriebs mit digitalen Mitteln, haben sich inzwischen einige interessante Angebote entwickelt. Aber auch größere Häuser mit voll entwickelten Digitalstrategien tun sich nach wie vor schwer, schnell auf die Spezifika der neu eingetretenen und sich nun wiederholenden Situation zu reagieren. Daraus kann man zwei Konsequenzen ziehen.

Zum einen ist die Antwort auf die digitale Transformation von Museen nicht mehr Digitalisierung, sondern vor allem der Aufbau von Digital Literacy unter den MitarbeiterInnen. Langfristig muss das Ziel eine breit getragene „Digitale Disposition“ sein, die ein hohes Maß an Selbstverständlichkeit im Umgang mit dem Digitalen und die flexible Beherrschung sowohl klassischer Prozesse als auch agiler Methoden miteinander verbindet. Für diese langfristigen Changeprozesse und die Erhöhung der Agilität von Museen können Verbundprojekte wie museum4punkt0 wichtige Impulsgeber sein.

Zum anderen und gleichsam als Zwischenschritte kann man aber auch Projekte anders aufsetzen. Nicht nur in der aktuellen Situation und ihren Folgewirkungen, sondern ganz allgemein können Museen eine hohe gesellschaftliche Relevanz entfalten, wenn sie ihre Inhalte kritisch, perspektiverweiternd oder spielerisch zu aktuellen Themen in Stellung bringen, Krisensituationen, Kontroversen oder popkulturelle Phänomene aufgreifen und eine Plattform für gesellschaftlichen Diskurs bieten. Da das Badische Landesmuseum inzwischen Partner im Verbund museum4punkt0 geworden ist, wird es mit einem eigenen Projekt genau an diesem Punkt ansetzen: Unter der Überschrift „museum x.o“ wird es um die Entwicklung einer digitalen Plattform gehen, die die Geschwindigkeit des Digitalen nutzt, um auf aktuelle Entwicklungen flexibel zu reagieren, die Nutzer*innen kollaborativ einzubinden und Angebote mit hohem Impact zu entwickeln.

Dein Geschenk
App „Dein Geschenk“, Foto: ARTIS – Uli Deck, CC BY 4.0

Wo sehen Sie Möglichkeiten, Synergien mit anderen Institutionen der deutschen Museumslandschaft zu nutzen? Wo sehen Sie in diesem Zusammenhang die Chancen von museum4punkt0?

Mit dieser Frage kann man noch einmal zum Anfang des Beitrags zurückkehren. Einerseits tendieren Digitalprojekte in Museen dazu, von hochspezifischen Inhalten und Anforderungen auszugehen; im Vorgehen ist dies natürlich nachvollziehbar, führt aber zu schwer in andere Kontexte übertragbaren Lösungen. Andererseits fußen die Erfolgsgeschichten des Digitalen aber meistens auf relativ simplen Mechaniken und Frameworks, die ganz andere Nutzungen zulassen als die ursprünglich intendierten; man denke in dieser Hinsicht nur an die Bandbreite von Nutzungsmöglichkeiten von Facebook oder Youtube. Für Museen lässt sich die Bedingung der Möglichkeit für echte Synergien daher am besten erreichen, wenn man konkrete Anwendungsfälle und den Transfer von Frameworks in möglichst vielen Iterationen und Feedback-Loops immer zusammendenkt und auf Grundprobleme der Museumsarbeit fokussiert. Im Fall der App „Mein Objekt“ ist dies bereits gelungen: Ein Framework mit einfachen Mechaniken kann beliebig mit spezifischen Inhalten anderer Museen bespielt werden und Objekte jeder Art zum Sprechen bringen.

Eine besonders fruchtbare Perspektive bietet das Themenfeld Künstliche Intelligenz. In manchen Projekten von museum4punkt0 wird bereits mit den Möglichkeiten dieser Technologien experimentiert, die in den kommenden Jahren zweifellos weiter an Bedeutung gewinnen und für eine Vielzahl an musealen Grundaufgaben von der Datenanreicherung über die Automatisierung von Nutzerzentrierung bis hin zu komplexeren Formen des Storytellings neue Lösungen bieten werden. Mit dem Schritt von der reinen Digitalisierung musealer Inhalte hin zur Platzierung von Museen in der Kultur der Digitalität sind Vernetzung, Kooperation und Synergien ohnehin immer wichtiger geworden, mit der systematischen Erschließung der Potentiale Künstlicher Intelligenz werden sie schlichtweg zwingend: Da kein Museum die hohen Komplexitäten und schnellen Entwicklungszyklen von Künstlicher Intelligenz alleine bewältigen kann, werden Synergien und Netzwerke zur unhintergehbaren conditio sine qua non.

Mit den KollegInnen über Erfahrungswerte, Experimente und Erfolge im Digitalen und damit verbundene Fragen des institutionellen Wandels zu diskutieren, noch weitergehende Einblicke in die laufenden Entwicklungen zu erhalten, nach den Potentialen konkreter Konzepte für transferfähige Frameworks zu fragen sowie das eigene und andere Projekte voranzutreiben, wird spannend werden – kurzum: this is the way.

Beitrag von: Dr. Johannes C. Bernhardt (Digital Manager, Direktion)

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App Mein Objekt – spielerisch durchs Museum
Blog-Beitrag Medien, Museen und „Mein Objekt“ (12. Februar 2019)

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