Institut für Museumsforschung befragt 100 Museen zur digitalen Vermittlung
100 Museen berichten von ihren Erfahrungen mit der digitalen Vermittlung des immateriellen Kulturerbes: Einblicke in die Bestandsaufnahme
Mit unserem Teilprojekt „Materialisierung des Immateriellen?“ ergründen wir das Wechselspiel zwischen immateriellem Kulturerbe (IKE), Museum und digitalen Vermittlungsformaten und möchten den Museen Informationen an die Hand geben, die sie bei der Weiterentwicklung der eigenen Arbeit unterstützen können.
Zentrale Fragen beschäftigen sich dabei zum einen mit dem Verständnis und den Dimensionen des immateriellen Kulturerbes in den Museen sowie mit der Rolle, welche die Museen im Bereich des Bewahrens, Dokumentierens und Weitergebens des IKE übernehmen. Zum anderen möchten wir erfahren, wie, von wem und wo die digitalen Vermittlungsangebote konkret genutzt werden. Außerdem interessiert uns, inwiefern die digitalen Formate Interaktion und Partizipation – zwei Eckpfeiler des IKE – ermöglichen und unterstützen und wie sich durch die Verwendung digitaler Werkzeuge die Praxis des immateriellen Kulturerbes, aber auch der musealen Vermittlung weiterentwickelt und verändert. Unsere besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Frage, auf welcher Wahrnehmungs- und Erlebnisebene die Nutzer*innen dieser digitalen Angebote angesprochen werden und welchen Einfluss dies wiederum auf das Verstehen, die Bewertung und die Ausübung vom IKE hat.
Um unsere Fragestellungen erörtern zu können, haben wir in den zurückliegenden drei Monaten 100 Museen zu ihren Erfahrungen mit der digitalen Vermittlung des immateriellen Kulturerbes befragt. Allen Museen, die an unserer Befragung teilgenommen haben, sagen wir:
Vielen herzlichen Dank für Ihre Unterstützung unseres Projektes!
Ein wertvoller Ausgangspunkt für unsere Datensammlung war die Datenbank für die Museumsstatistik des Instituts für Museumsforschung. Sie ermöglichte es unserem Team, einen ersten Überblick über die Vielfalt der deutschen Museen und deren Sammlungsschwerpunkte für die Datenerhebung zu erhalten.
Unseren Kolleg*innen gilt daher ein besonderer Dank für ihre Hilfe!
Für unsere telefonische Befragung hatte unser Team mithilfe von Werkverträgen Verstärkung bekommen. Vier Kolleginnen führten für uns die zahlreichen Gespräche durch und dokumentierten diese.
Auch ihnen danken wir herzlich für ihre Unterstützung und ihr Engagement!
Materialien und Zahlen
Aufbauend auf der Museumsstatistik konnten wir eine erste Auswahl für unsere Datensammlung treffen. Unsere Befragung streuten wir dabei besonders breit, um auf diese Weise das vielfältige thematische Spektrum der Museen und ihrer Sammlungen abbilden zu können. So schlossen wir neben kulturgeschichtlichen Museen auch Regional-/Stadt-/und Ortsmuseen, Kunstmuseen, naturkundliche Museen, naturwissenschaftliche und technische Museen sowie historische und archäologische Museen in unsere Befragung ein.
Ähnlich vielfältig sind auch die Formen des IKE: Wir konnten Vertreter*innen aus den Bereichen der mündlich überlieferten Traditionen und Ausdrucksformen, der darstellenden Künste wie Musik, Tanz und Theater, der gesellschaftlichen Bräuche und sozialen Praktiken wie Rituale und Feste, des Wissens und der Praktiken im Umgang mit der Natur und dem Universum, des Fachwissens über traditionelle Handwerkstechniken sowie der Formen gesellschaftlicher Selbstorganisation in unserer Befragung abbilden. In den Gesprächen wurde allerdings schnell deutlich, dass eine strikte Trennung der Bereiche oftmals nicht möglich ist. Auch hier war uns die Berücksichtigung des Reichtums der immateriellen Kultur ein großes Anliegen. Daher haben wir auch Beispiele zum Fachwissen über industrielle Herstellungsprozesse, Wissen und Praktiken mit der natürlichen und städtischen Umwelt oder auch Literatur und Ideengeschichte sowie Erfahrungsgeschichte in die Bestandsaufnahme einbezogen und damit das Spektrum der verschiedenen IKE-Bereiche noch stärker in ihrer Vielfalt gewürdigt.
Erste Ergebnisse
In unseren beiden Themenschwerpunkten immaterielles Kulturerbe im Museum und digitale Vermittlung des immateriellen Kulturerbes konnten wir vielfältige und interessante Informationen.
Mit Blick auf das Verhältnis IKE-Museum ergab unsere Befragung, dass ein sehr großer Anteil der befragten Museumskolleg*innen das IKE als integralen Bestandteil anerkennt und sich selbst auch als wichtige*n Akteur*innen wahrnimmt, insbesondere bei der Bewahrung und Vermittlung. Annährend 80 % der befragten Museen konnten diesen Aussagen voll zustimmen.
Und auch die Befragung selbst erwies sich als fruchtbar für die teilnehmenden Museen. Einige Kolleg*innen erklärten in den Gesprächen, dass sie durch die Befragung einen neuen Blick auf ihre Sammlungen und ihre Inhalte sowie auf ihre eigene Praxis des Sammelns und Dokumentierens erhalten haben, indem sie die Prinzipien des IKE auf ihre Sammlungen anwendeten. Bisweilen wurde sogar über die Museumsarbeit insgesamt aus der Perspektive des IKE reflektiert.
Außerdem zeigte die Befragung, dass die digitalen Angebote, mit deren Hilfe das immaterielle Kulturerbe vermittelt wird, äußerst mannigfaltig sind. Vermittlung findet sowohl in den Ausstellungen als auch im Außenbereich der Häuser oder online statt. Sie verbindet die Häuser mit dem Stadtraum oder auch mit anderen Akteur*innen im Kulturbereich. Den größten Anteil an den in der Befragung genannten digitalen Angebote haben die Medienstationen. Hier ist die Vielfalt der gestalterischen, funktionalen und technischen Ausprägungen bemerkenswert.
Die Covid-19-Pandemie war gleichfalls Thema unserer Befragung. In den Gesprächen wird die Pandemiesituation als ein treibender Impuls genannt. In diesem Rahmen wurden bereits bestehende Formate verstärkt weiterentwickelt sowie länger geplante Projekte und ihre Implementierung schneller umgesetzt. Viele der digitalen Angebote sind relativ neu: Sie sind im Zusammenhang mit der Pandemie und den Schließungen der Museen entstanden (ca. 40%) und erbringen neue und vielfältigere Formen der Vermittlung und des Austauschs insbesondere außerhalb der Museumsräume. Eine große Anzahl an Kolleg*innen sehen hier eine wichtige Bereicherung des bisherigen Vermittlungsangebots, da die digitalen Formate den Nutzer*innen neue Zugänge ermöglichen und auch neue Adressat*innen erreichen. Damit können sie zu einer neuen Wahrnehmung des IKE und auch des Museums beisteuern sowie zur weiterführenden Beschäftigung mit dem IKE und zum Besuch des Museums anregen. Ca. 95% der befragten Kolleg*innen äußerten den Wunsch, dass diese Formate erhalten blieben und weiterentwickelt würden sowie stärker als integraler Bestandteil der Museumsarbeit anerkannt und gewürdigt würden.
Bereits in dieser Befragung hat uns interessiert, auf welcher Ebene die Nutzer*innen durch das digitale Angebot angesprochen werden, etwa über die Wissensebene, über Gefühle oder auch über körperliche Aktivität. Aus Sicht der Vermittlung ist klar, dass Wissen und Verstehen an erster Stelle stehen. Aber auch die emotionale Ebene spielt für die Kolleg*innen, die die digitalen Anwendungen entwickelt haben, eine fundamentale Rolle – zum einen, weil speziell das IKE an sich bereits eng mit Emotionen verbunden ist, zum anderen aber auch, weil die Ansprache von Gefühlen immer mehr Beachtung findet, und zwar als grundlegende Komponente für das Wecken von Interesse und für eine erfolgreiche Wissensvermittlung.
Dank dieser umfangreichen Befragung ist es uns nun möglich, die vielschichtigen Dimensionen des IKE sowie das bestehende Angebot seiner digitalen Vermittlung im Museum aufzuzeigen und zu analysieren. Die Aspekte Interaktion, Partizipation und Innovation werden wir in der Auswertung, die jetzt vor uns liegt, besonders in den Blick nehmen. Außerdem möchten wir den Überlegungen zur emotionalen Ansprache stärker auf den Grund gehen. In unseren Tiefeninterviews werden daher insbesondere rezeptionsanalytische Fragestellungen zu den Funktions- und Wirkweisen der Anwendungen im Mittelpunkt stehen. Hier spielen die beiden Kernkategorien und Eckpfeiler des IKE – Interaktion und Partizipation – eine zentrale Rolle, da ihr Einfluss auf die Kognition sowie auf emotionale und motivationale Prozesse besonders groß ist.
In den Gesprächen, die im Rahmen der Befragung stattfanden, wurde deutlich, dass in den Museen ein großer Bedarf an Anregung und Austausch besteht. Detaillierte Analysen und Ergebnisse – sowohl der Bestandsaufnahme als auch der Tiefeninterviews – werden wir abschließend in einem Good-Practice-Gutachten und auch auf der Plattform von museum4punkt0 zur Verfügung stellen. Damit möchten wir die Museen in ihrer Arbeit unterstützen.
Auch wenn unsere Befragung nur einen kleinen Teil der Museumslandschaft abbildet, so gibt sie doch einen Überblick zur gegenwärtigen Situation – und Ausblicke in die Zukunft: Vielzählige digitale Angebote werden gerade erst geplant und konzipiert.
Beitrag von: Dr. Friederike Berlekamp und Julie Piesbergen
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