Lebendiges Erbe: Digitale Zugänge zu Traditionen, Bräuchen, Wissen
Digitale Vermittlungsangebote ermöglichen Zugang zum immateriellen Kulturerbe – und weit darüber hinaus das Mitgestalten und Teilen.
Der Bedarf digitaler Zugänge zum Kulturerbe hat sich selten so eklatant gezeigt wie in Pandemiezeiten. Mit der Schließung der Häuser führen allein digitale Wege zu den Beständen von Museen, Bibliotheken, Archiven und anderen Forschungseinrichtungen. Ebenso deutlich wurde, dass die Forderung nach dem Zugang zum Kulturerbe nicht bei der Bereitstellung von Digitalisaten in Datenbanken aufhört. Weit darüber hinaus helfen digitale Technologien, am kulturellen Erbe zu partizipieren. In den Institutionen und ihren Digitalstrategien verankerte Vermittlungsangebote können
- Kulturgut ortungebunden und barrierearm zugänglich machen,
- Bestände multiperspektivisch erschließen,
- Kontexte und Verknüpfungen sichtbar machen,
- zum selbstbestimmten Mitgestalten, Teilen und lebensbegleitenden Lernen einladen.
Digitale Tools bieten sich in besonderer Weise als Zugänge zum immateriellen Kulturerbe an, das per se „partizipativ“ ist. Es lebt vom Teilen und Mitgestalten: Mündlich überlieferte Traditionen brauchen eine Sprache und einen Sprecher, Masken brauchen einen Narren, der sie trägt, Handwerkstechniken einen Handwerker, der diese beherrscht, Tänze einen Tänzer – der mit jedem Tanz die Tradition mitformen und verbreiten wird. Das Digitale, das nicht weniger vom Teilen und Mitgestalten lebt, bietet sich an, um Immaterielles in seiner Wandelbarkeit greifbar zu machen.
Wie lässt sich ein historisches Ereignis vermitteln, das als leeres weites Feld Gegenstand des Museums ist? Das museum4punkt0-Team vom Varusschlacht im Osnabrücker Land, Museum und Park Kalkriese lotet die digitalen Möglichkeiten für die Vermittlung im Außenraum aus. Wie eine historische Postkarte jungen Menschen etwas über die Lebenswirklichkeit Ausgewanderter erzählen kann – dazu arbeitet das Team vom Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven in museum4punkt0. Mit digitalen Werkzeugen die „Dinge (wieder) in Bewegung bringen“, möchte das Team der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden im neuen museum4punkt0-Teilprojekt: eine „Theatrum mundi“-Aufführung aus der Puppentheatersammlung soll digital rekonstruiert und steuerbar werden. Den Fastnachtsmuseen Schloss Langenstein und Narrenschopf Bad Dürrheim geht es in ihren museum4punkt0-Projekten um das digitale Erleben und die interaktive Vermittlung der schwäbisch-alemannischen Fastnacht. Ausgefeilte Medienstationen, die auf die jeweils persönlichen Interessen der BesucherInnen reagieren, werden entwickelt, um den Facettenreichtum der Fastnacht im Museum zu vermitteln. 360-Grad-Filmaufnahmen öffnen den digitalen Raum für ein virtuelles Fastnachtserlebnis – ein Traum für jeden Narren: Jeden Tag Fastnacht, orts- und zeitlich ungebunden. Doch auch eingefleischte Berliner Fastnachtsmuffel kann das interessieren, allein die Handwerkskunst, die Häs (Kostüm) und Larven (Masken) hervorbringt, vor allem aber die Lebendigkeit der Tradition.
Die Corona-Eindämmungsmaßnahmen schränken auch eben diese lebendigen Traditionen ein: keine Fastnachtsumzüge, keine großen Familienfeiern, keine Feiern zu religiösen Festtagen. Hier kann das Digitale zwar keinen adäquaten Ersatz bieten, aber es kann die Distanz im Sinne des Infektionsschutzes vielleicht etwas verringern: Die vom Museum Narrenschopf Bad Dürrheim in museum4punkt0 entwickelte Plattform Virtuelles Fastnachtsmuseum bietet auch die Möglichkeit, an einer virtuellen Fastnachtsband zu partizipieren. Teilhabe im Sinne selbstbestimmter Mitgestaltung und die Öffnung für einen multiperspektivischen Blick auf die Sammlungsobjekte sind zentrale Ansätze für die Projekte der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss in museum4punkt0: Digitale Tools laden zu individuellen Objekterkundungen ein oder Workshops motivieren, eigene Inhalte zu erstellen und zu teilen. Die im Humboldt Forum ausgestellten Großobjekte beispielsweise können, dank einer Anwendung des museum4punkt0-Teams der Staatlichen Museen zu Berlin, in der persönlichen Führung mithilfe individuell einsetzbarer AR-Inhalte in ihrem historischen Kontext vermittelt werden. Auch hier wird Tradition greifbar – und das im Zusammenspiel von Analogem und Digitalem. Doch wie verändern digitale Tools das Immaterielle, wie wirken sie sich auf die Transformation des Immateriellen aus? Welche Tools werden genutzt, wie lassen sich diese systematisieren? Im neuen Teilprojekt des Instituts für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin geht es darum, die Nutzung digitaler Medien für die Vermittlung immateriellen Kulturerbes zu evaluieren.
Das immaterielle Kulturerbe, das von unserer Weitergabe und Mitgestaltung erhalten wird, ist oftmals Teil unseres Selbstverständnisses, unserer Identität. Das Digitale hilft, auch dieses Erbe lebendig zu erhalten und zu nutzen.
Beitrag von: Kommunikationsteam Z