Mit Augmented Reality Wissenschaft im Museum zielgruppengerecht vermitteln
Wie lassen sich Funktionsweisen von Objekten, historische Kontexte und Forschungszusammenhänge mithilfe von Augmented Reality im Museum aufbereiten?
Museen sind Orte der Wissenschaft und vor allem auch Lernorte für alle. Komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge und Forschungsmethoden gehören zu den Inhalten, die Museen vermitteln. Digitale Technologien bieten sich als Werkzeuge der Vermittlung an, um Zugang zu wissenschaftlichen Themen bis hin zur Partizipation an Forschung im Museum zu ermöglichen. Die Herausforderung liegt darin, etwa historische Kontexte und Funktionsweisen von Objekten, Prozesse der Erforschung wie Analysen und Rekonstruktionen für Lai*innen interessant aufzuarbeiten, ohne auf wissenschaftliche Tiefe zu verzichten.
Augmented Reality – digitales Werkzeug für die Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte
AR-Technologien bieten eine Vielzahl an Möglichkeiten, Objekte und Themen zu vermitteln. Im digital erweiterten Ausstellungsraum erhalten Exponate zusätzliche Informations- und Erzählebenen: Besucher*innen erfahren in der AR-Darstellung etwas über historische Entwicklungen, Nutzungsszenarien und Entstehungszusammenhänge und können sich je nach Vorwissen und Interesse auf unterschiedlichen Vertiefungsebenen informieren. AR ermöglicht es, schwer einsehbare Bereiche eines Objekts sichtbar zu machen.
Die Entwicklung eines AR-Angebots erfordert die oftmals inspirierende, aber kostenintensive und zeitaufwendige interdisziplinäre Zusammenarbeit von Kulturvermittler*innen, Kurator*innen und Entwickler*innen. Um es möglichst vielen Institutionen zu ermöglichen, ressourcenschonend passgenau zugeschnittene AR-Tools in der Vermittlung einzusetzen, möchte das museum4punkt0-Team vom Deutschen Museum München eine Plattform entwickeln, auf der sich Museen eigene AR-Anwendungen modular zusammensetzen und Praxis-Hinweise abrufen können. Dazu eruiert das Team bereits die Bedarfslage und nutzt auch den intensiven Austausch im Verbund museum4punkt0.
Einsatzmöglichkeiten von AR
Das museum4punkt0-Team der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf erweitert den musealen Raum um neue digitale Erzählebenen. An den unterschiedlichen Standorten der Stiftung können Nutzer*innen einer AR-Anwendung künftig historische Kontexte erfassen, indem beispielsweise bauliche oder landschaftliche Zeitschichten sichtbar werden.
Die Karte ist ein vertrautes Werkzeug in Ausstellungen, um den geografischen Kontext von Objekten zu vermitteln. AR öffnet auch hier weitere digitale Erzählebenen: Das museum4punkt0-Team der Staatlichen Museen zu Berlin hat mithilfe des Low-Fidelity-Prototyps „SwellAR“ anhand der im Humboldt Forum ausgestellten Südseeboote erprobt, wie zeitgenössische Perspektiven von Menschen der Herkunftsgesellschaften und das Ökosystem Ozeaniens einbezogen werden können: Nutzer*innen entdecken auf dem eigenen Smartphone oder Tablet die mit bewegten Echtzeitdaten der Strömungsverhältnisse angereicherte Karte und vernehmen die Stimmen der Menschen vor Ort in Zitaten, Videos und Fotografien.
Wie archäologische Forschung funktioniert, vermittelt das museum4punkt0-Team des Varusschlacht im Osnabrücker Land Museum und Park Kalkriese künftig mittels AR: Ein Entdecker-Tool lässt Besucher*innen selbst zu Forscher*innen werden. Die Rekonstruktion historischer Ereignisse anhand von Funden und Fundorten wird erfahrbar.
Reanimation historischer Objekte
Funktionsweisen historischer astronomischer Instrumente zu vermitteln, ist Ziel des museum4punkt0-Teams der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Mithilfe digitaler Technologien lernen Nutzer*innen die Funktionsweise von Sternen- und deluxer Sonnenuhr sowie eines mechanischen Himmelsglobus kennen. AR-Technik stellt die Exponate in ihren ursprünglichen Bewegungskontext und vermittelt Wissen auf unterschiedlichen Vertiefungsebenen. Die digitale Reanimation des Theatrum mundi, des mechanischen Welttheaters aus dem 18. Jahrhundert, macht Nutzer*innen zu Regisseur*innen, die Kulissen schieben und Geschichten zu den bewegten Figuren erzählen.
Die Komplexität historischer Maschinen zu vermitteln, indem die Objekte digital wieder zum Leben erweckt werden, war auch eines der Ziele im Teilprojekt des Deutschen Museum: Digitale 3D-Modelle und 3D-Visualisierungen ermöglichen es, Funktionsweise, Aufbau und die Materialbeschaffenheit von Maschinen detailgenau zu zeigen. Dabei ging es insbesondere um die hohen Anforderungen an das Erstellen von 3D-Inhalten, die in Augmented Reality- oder Virtual Reality-Szenarien vermittelt werden.
Mehrwert von AR in der Vermittlung
AR bietet viele Möglichkeiten – und viele Herausforderungen. Wie bei jedem Vermittlungsangebot bemisst sich der Erfolg von AR-unterstützten Angeboten am Zuschnitt auf Inhalte, Institution und Zielgruppe. Digitale Technologien sind Werkzeuge zur Vermittlung von Inhalten, die ihren Mehrwert im zielgruppengerechten Einsatz entfalten. Dabei heißt zielgruppengerecht nicht, möglichst alle zu erreichen, sondern jeweils genau zu definieren, wer erreicht werden soll und kann. Bestenfalls sollten Vertreter*innen der definierten Zielgruppe von der Konzeption an in den Entwicklungsprozess eines Vermittlungsangebots einbezogen werden. Co-kreative Arbeitsprozesse und kontinuierlich begleitende Testungen helfen, ein Vermittlungsangebot auf die Nutzer*innen zuzuschneiden.
Gerade hinsichtlich schwer einsehbarer, in ihrer Funktionsweise komplexer oder ursprünglich bewegter Objekte sowie ihrer wissenschaftlichen Erschließung sind digitale Technologien dienliche Werkzeuge der Vermittlung. Sind Funktionen und Inhalte digitaler Vermittlungsangebote auf die jeweilige Zielgruppe abgestimmt und passt das Tool in das Vermittlungskonzept der Institution, erleichtert dieses den Zugang selbst zu komplexen Forschungsthemen und ermöglicht Teilhabe. In diesem Sinne ist digitale Vermittlung die Übersetzung von Wissenschaft in die zielgruppengerechte Kommunikation von Museen.
Beitrag von: Dr. Maite Kallweit und Dr. Silke Krohn
Mehr erfahren
- Blog-Beitrag: „24 Hektar Museumspark“ (20. Januar 2021)
- Was entsteht (museum4punkt0-Webseite)
- Teilprojekt „Digitales Storytelling: historische Räume und visualisierte Geschichte(n)“ der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen“