Vom Vorteil der Verschiedenheit: Die Kultur des Nordens digital vermitteln
Prof. Claus von Carnap-Bornheim über die Herausforderungen und den Mehrwert der digitalen Transformation für Kulturinstitutionen und Publikum
Prof. Claus von Carnap-Bornheim, Sie sind Leitender Direktor der Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf. Ihre Stiftung ist assoziierter Partner von museum4punkt0. Was versprechen Sie sich von der Zusammenarbeit?
Die Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen ist der größte Museumskomplex zwischen Hamburg und Kopenhagen. Die Geschichte und Geschichten unserer Museen und Sammlungen für unser Publikum auch digital erlebbar zu machen, ist uns ein wichtiges Anliegen. Gleichzeitig haben sich die Bedürfnisse und Anforderungen der Museen und Menschen stark gewandelt. Durch die assoziierte Partnerschaft im Verbund museum4punkt0 blicken wir über Norddeutschland hinaus. Wir lernen so Innovationen kennen, bauen Expertise auf und erweitern unser Knowhow. Und wir bringen unsere Erfahrungen und Perspektiven in die weitgespannte Diskussion dieses Netzwerkes mit ein. Nur so kann sich für alle Beteiligten eine Win-win-Situation ergeben, die dann die gemeinsame Basis für zukünftige Zusammenarbeit ist.
Es ist gerade die Diversität der Landesmuseen Schleswig-Holstein, die Herausforderung und Potenzial zugleich ist. Denn unsere zahlreichen Standorte könnten kaum unterschiedlicher sein: vom kleinen, modernen Eisenkunstgussmuseum oder dem Erinnerungsort Jüdisches Museum Rendsburg über die weitläufige Museumsinsel Schloss Gottorf mit seiner über 800-jährigen deutsch-dänischen Geschichte bis zum größten Besuchermagneten, der ehemaligen Wikingersiedlung Haithabu mit Welterbe-Status – sie alle unterscheiden sich in Architektur, Größe, Sammlungen, Vermittlungsansatz und Besuchszahlen. Dagegen vereint alle das „Auratische“ historischer Gebäude und Freiflächen sowie ihrer reichhaltigen Sammlungen aus Kunst und Kultur, Archäologie, Geschichte und Volkskunde. Es gibt so viel zu erzählen oder zu diskutieren, was trotz guter Gestaltung und personaler Vermittlung verborgen bleibt – hier eröffnet eine besucherorientierte, digitale Vermittlung unendliche Möglichkeiten.
museum4Punkt0 bietet uns zunächst die Chance, nicht zweckgemäße Applikationen und Anwendungen zu meiden, wobei es sicherlich auch gilt, Kosten zu reduzieren oder zukunftsträchtigen Entwicklungen nicht „hinterherzuhinken“. Neben diesen konkreten Rahmenbedingungen stehen aber auch übergeordnete Fragestellungen, mit denen wir nicht erst seit der Corona-Krise konfrontiert sind: Welche Auswirkungen hat die längst stattfindende digitale Transformation auf die Kultur? Wie können Museen reagieren? Wie gestalten wir digitale Zugänge im Sinne des Publikums?
Alle diese Fragen können einzelne Institutionen kaum beantworten. Als assoziierter Partner von museum4punkt0 haben wir bereits viele Anregungen und Hinweise für die Umsetzung eigener Projekte übernehmen können, Stichwort Digitalkompetenz. Im Austausch mit anderen Institutionen, Projekten und Prozessen können wir viel lernen und freuen uns sehr, ein Teil dieses interdisziplinären Netzwerks zu sein. Dabei hoffen wir, dass das Netzwerk museum4punkt0 von unseren Verbindungen zu Partnerinstitutionen zum Beispiel im Ostseeraum profitieren kann, wo sich sehr unterschiedliche Philosophien und Strategien in Verbindung mit der Digitalisierung im kulturellen Bereich entwickelt haben.
Welche digitalen Angebote können BesucherInnen Ihrer Häuser bereits nutzen?
Mit Blick auf die Bandbreite digitaler Angebote hat sich in den letzten Jahren in unserer Stiftung viel getan. Dahinter steckt vor allem eine veränderte Auffassung und Professionalisierung. Als Leitender Direktor bin ich auch Vorgesetzter des Bereichs Bildung und Vermittlung, der sich unter anderem für die mediale Vermittlung unserer Ausstellungen verantwortlich zeigt. Auch der Bereich Kommunikation hat eine immer umfassendere und zielgerichtete Ansprache unseres digitalen Publikums im Blick.
Wichtige Landmarken der letzten Jahre waren ein 360-Grad-VR-Erlebnis zur Entstehungsgeschichte des begehbaren Gottorfer Globus sowie eine interaktive Desktop-Anwendung, um dieses erste Planetarium der Welt auch am Bildschirm zu Hause erkunden zu können. Auch im Jüdischen Museum in Rendsburg ist unsere aktuelle Sonderausstellung „Gerettet, aber nicht befreit“ online erlebbar. Glück im Unglück: Dieser virtuelle Rundgang wurde mitten im Lockdown gelauncht. Aber auch ansonsten ist in Corona-Zeiten viel passiert, Beispielsweise wurden die erweiterten Angebote auf unserem Youtube-Kanal „Landesmuseen TV“, in dem unter anderem unsere MitarbeiterInnen zu Wort kommen, stark erweitert und sehr gut angenommen. Unsere Exponate zu digitalisieren, steht seit langem auf der Agenda und diese Aufgabe wird stetig vorangetrieben. Weitere digitale Projekte sind in Planung und bei jeder Sonderausstellung werden digitale Medien erwogen. Aber wir wissen, dass für uns nach oben noch viel Luft ist.
Wie würde Ihre persönliche Visitor Journey rundum Ihr Museum und darin aussehen?
Das Erlebnis und die Faszination des Originals um neue digitale Zugänge zu erweitern, wäre meine bevorzugte persönliche Visitor Journey.
Ein Beispiel: Ich höre oder lese vielleicht zum ersten Mal vom Gottorfer Riesenglobus, der im schönen Barockgarten hinter der Museumsinsel liegt. Ich werde neugierig, gehe online und entdecke auf der Homepage, dass ich einen virtuellen interaktiven Rundgang zum Globus und seiner Entstehungsgeschichte machen kann. Alternativ stoße ich eher zufällig im Schloss auf eine Virtual-Reality-Station zum Globus, der im gut zehn Fußminuten entfernten Globushaus hinter der Museumsinsel liegt. Natürlich will ich ihn nun „live“ und im Original sehen, denn die achtminütige Fahrt im ältesten Planetarium der Welt ist einzigartig.
Ein Foto von mir vor diesem einzigartigen Objekt landet dann noch auf Instagram und gern teile ich dieses Erlebnis später mit Familie und Freunden. Insgesamt habe ich das Gefühl, eine schöne, lehrreiche Entdeckung gemacht zu haben – analog und digital.
Welche Erfahrungen und Erkenntnisse hinsichtlich des Nutzungsinteresses digitaler Museumsangebote nehmen Sie mit aus der Zeit notwendiger Einschränkungen des regulären Betriebs?
In erster Linie glaube ich, dass Kulturinstitutionen in Zukunft noch flexibler und mutiger denken müssen.
Wie viele andere haben auch wir uns bemüht, in der Zeit des temporären Lockdowns aus der Not eine Tugend zu machen. So haben wir unter #closedbutopen beziehungsweise auf unseren Social-Media-Kanälen und auf der Homepage unsere Themen und Sammlungen verstärkt vorgestellt. Unsere Museen und MitarbeiterInnen sind also sichtbar geblieben. Die gesteigerten Zugriffszahlen sprechen von großem Interesse, auch wenn hier und da mal improvisiert oder experimentiert wurde.
Aber leider bleiben ja einige Einschränkungen vorerst bestehen, denn die Gesundheit unserer BesucherInnen und MitarbeiterInnen hat für uns Vorrang. Ganz allgemein gesprochen ist mediale Vermittlung in Form von interaktiven Medien wie Touch-Monitoren, Hörmuscheln oder Knöpfen an Mitmach-Stationen aus hygienischen Gründen vielerorts weiterhin nicht oder nur eingeschränkt nutzbar. Nicht nur das Besuchsverhalten, auch die Angebote werden sich also ändern müssen. Der Lockdown hat natürlich auch Vorteile gehabt, wie etwa ein stärkeres Vertrauen der Gesellschaft in die Ideen des digitalen Lernens und Arbeitens.
Zwei weitere wichtige Stichworte für die Digitalisierung sind Inklusion und Nachhaltigkeit – denn wir möchten auch digital „Museum für alle“ sein und diverser arbeiten, immer im Sinne unserer BesucherInnen.
Ich vermute, für die Landesmuseen Scleswig-Holstein werden zukünftige digitale Anwendungen „pandemie-tauglich“ sein, beispielsweise als „Bring-Your-Own-Device“-Format oder browserbasiert.
Ein wichtiger Punkt zukünftiger Diskussionen und Investitionen wird sicherlich auch die Frage nach der Bereitstellung von Forschungsdaten durch unsere Häuser sein. Gerade die sammlungsbezogene Forschung und die Bereitstellung relevanter Daten über die Grenzen der Landesmuseen selbst hinaus wird wichtige Synergieeffekte generieren, die wir nicht zuletzt in unseren Ausstellungen umsetzen können.
Wo sehen Sie Möglichkeiten, Synergien mit anderen Institutionen der deutschen Museumslandschaft zu nutzen? Wo sehen Sie in diesem Zusammenhang die Chancen von museum4punkt0?
Meiner Meinung nach kommt gesellschaftliche Relevanz von Kulturinstitutionen nicht von irgendwo her, sondern muss stetig überprüft und erweitert werden. Das gilt für alle Lebenswelten der Menschen, ob nun analog oder digital. Die deutsche Museumslandschaft kann sich diesbezüglich vernetzen, um im Sinne der Menschen innovativer zu denken und sich auszutauschen.
Für die Landesmuseen Schleswig-Holstein sind gerade die nächsten Jahre entscheidend. Wir haben einige Modernisierungsprozesse vor. Mit dem „Masterplan“ werden auf der Museumsinsel Schloss Gottorf ein modernes Empfangsgebäude und neugestaltete Dauerausstellungen verwirklicht. Solche Prozesse lassen sich mit Blick auf Vermittlungsziele nicht ohne Aspekte der Digitalisierung verwirklichen. Und andere Institutionen haben Ähnliches vor oder hinter sich. Um die „gefühlte Historizität“, die an diesem Ort mit seiner wechselvollen 800-jährigen Geschichte vom Publikum empfunden wird, im besten Mix aus analogen und digitalen Ansätzen sichtbar machen zu können, braucht es umfassende Expertise, Erfahrung und Impulse.
Das alles geht weder im Alleingang noch von heute auf morgen. Wir glauben an die Kraft der partnerschaftlichen Vernetzung – und museum4punkt0 bietet für uns genau solch ein Forum.
Beitrag von: Prof. Dr. Dr. h.c. Claus v. Carnap-Bornheim